Hochspannungsversuche (XVII)
Gasentladungen (1)
"low cost" Teilfunkenstrecken
21.11.2013
Hallo Liste,
jetzt kommen neue Versuche, von denen einige "Potenzial" (nicht-elektrisches) haben und einige auch zum einfachsten Nachmachen geeignet sind. Sehr viel davon kommt dem Zustand Suchtpotenzial (das ist der Bereich von mV, nicht MV oder kV, sondern "etwas weniger") sehr nahe. Es macht einfach Spass.
Geteilte Funkenstrecke (Stiftleiste)
... kamen als Funkenstrecke in den früheren Löschfunkensendern zum Einsatz bzw. später, in meiner Schulzeit, beim Versuch mit dem Teslatransformator. Das inspirierte mich, in der Weihnachsabteilung u. a. eine Perlenkette zu kaufen, aus metallisierten Kügelchen gereiht auf einer nicht-leitenden Plastikschnur. Für 18 kV waren die Abstände viel zu groß. Mehr als zwei Teilfunkenabschnitte konnte ich nicht realisieren.
"Wilde Konstruktionsideen" für einen Selbstbau kamen zu einem jähen Ende, als ich vorgestern auf YouTube versackte. Ungesucht stolperte ich über eine Fortsetzungsreihe Hochspannung I bis III (DE). Eines der dortigen "gequälten" Bauelemente waren Stifleisten, zur Kontaktierung von Cu-kaschierten Platinen.
Eine solche Stiftleiste entnahm ich dem Kleinteilearchiv und spannte sie hochkant in eine Schraubzwinge ein, welche mit mit dem Minuspol des 18-kV-Netzteils verbunden wurde. Der +18-kV-Ausgang wurde wie üblich über zwei Kugelkondensatoren (zwischen ihnen ein Begrenzungswiderstand von 2.200 MOhm zur Strombegrenzung im Kurzschlussfall) auf eine bewegliche Spitzenelektrode geführt.
Bereits bei Annäherung an den obersten Stift, 35 mm höher als der oberste der in der Schraubzwinge kontaktieren unteren Stifte, war deutlich die Koronaentladung zu hören. Schrittweise ging ich mit der Spitzenelektrode nach unten.
Bei Stift Nr. 5 (#1 war der höchste kontaktierte) sprangen Funken von der Spitzenelektrode über. Die Schraubenzwinge empfand ich aber als nicht optimal, nicht nur wegen ihrer Größe: Es kam zu Entladungen längs der gummierten Klemmbacke auf der Gegenseite (Gleitentladung entlang der Oberfläche von Dielektrika).
Die als nächstes verwendete Stiftleiste (und alsbald mein Favorit) bestand aus einer Doppelstiftleiste, von der jede auf einer Seite lange gerade Stifte aufweist und auf der anderen Seite kurze und abgewinkelte besitzt. Das gibt vielfältige Möglichkeiten und ist spannender, als es eine Perlenkette je sein könnte. Es lies sich hier eine gesamte Schlagweite von Stift #6 auf Stift #1 erzielen, also über 5 Teilfunkenstrecken hinweg.
Die besten Funken ergeben sich, wenn ich mit der Spitzenelektrode in die Mitte zwischen die beiden Reihen zeige, mit kleinem Funken oder auch direkt auf den Isolierkörper haltend. Die (folgenden) Teilfunken springen auf der Vorderseite links, Vorderseite rechts, Rückseite links, Rückseite rechts über, wie es ihnen beliebt. Und die wechseln häufig. Ich bin immer noch überrascht von diesem dynamischen, äußerst vielseitigen Erscheinungsbild.
Bei diesen Versuchen empfiehlt es sich, den Küchenwecker zu stellen, der einen daran erinnern soll, regelmäßig zu lüften, denn O3 und NOx sollen ja nicht ganz so gesund sein ...
Geteilte Funkenstrecke (Stiftbuchseleiste)
Ausser Stiftleisten gibt es aber auch Stiftbuchsenleisten. Bei diesen befinden sich nur auf 1 Seite Stifte, auf der anderen dagegen Buchsen. Und das führt zu einem geänderten Verhalten. Stecke ich die Spitzenelektrode in eine solche Buchse bei ausreichend geringem Abstand zum geerdeten Stift, dann finden auf der Stiftseite fast auschließlich Gleitentladungen ab, alle Funken springen entlang der Oberfläche herab, keine Entladung findet von dem Isolierstoff der Stiftleiste abgehoben statt. Und nur höchst selten zeigen sich Entladungen auf einer Teilstrecke zwischen zwei benachbarten Buchsen. Diese oberflächennahen Entladungen werden in der Literatur auch Oberflächenentladungen genannt. Und diese sind DAS Problem der Hochspannungstechnik, denn alle Stützer und Durchführungen stehen ja einseitig mit Luft oder einem anderen Dielektrikum in Kontakt. Das geht ja auch gar nicht anders.
Geplante Folgeversuche
Bevor es in einem inhomogenen Feld zu einem Überschlag kommt, finden Vorentladungen bzw. Teilentladung statt. Auch Glimmentladungen gehören dazu. Ich vermute, dass die teilweise, sich vielleicht auch überlappend synonym sind. Bin ja seit ein paar Tagen dabei, mir das reinzuziehen und es schließlich auch zu behalten. Die Glimmentladungen finden dann natürlich auch entlang der Oberflächen statt, natürlich auch die Koronaentladungen. Das müsste man sich im Dunkeln anschauen!
l Koronaentladungen und Glimmentladungen bei Stiftleisten und Stiftbuchsenleisten untersuchen. Für diese Versuche die entsprechenden Bauelemente aufkleben und vielleicht auch für den beinahe blinden Versuch sicherheitstechnisch optimieren.
l Platinen mit zweiseitigen Lötaugen
Zusammenfassung
Es bestehen weitere Möglichkeiten: Es ließen sich mehrere verschiedene Stifleisten horizontal anorden und teilweise auch einzelne Stifpaare bilden und diese auch überkreuzend verlöten, nicht nur nebeneinander liegende. Diese Bauelemente weisen wirklich ein ungeahntes Potenzial auf! Und kosten nur wenig Geld.
Und es ließen sich für höhere Spannungen (Influenzmaschine 120 kV, Bandgenerator 250 kV, Spannungskaskaden, Marx-Generatoren - der YouTube-Einsteller führte die Versuche mit einer 80-kV-Kaskade durch, im transparenten Plexiglasturm mit blauen dicken Hochspannungs-Kondensatoren und schwarzbraunen Hochspannungswiderständen prächtig anzusehen) durchführen, sogar erheblich leichter. Und es ließen wahnwitzige Konstruktion vorstellen, um mehrere Ecken herum und ...
Eigentlich wollte ich jetzt mit anderen Versuchen auf meiner Agenda fortfahren, aber plötzlich ereignete sich ein Blitz im Gehirn, ein Gedankenblitz ...
Geteilte Funkenstrecke in 2-D
Das Problem mit 18 kV ist, dass es eben nicht 80 kV oder mehr sind. Die Spalte der Teilfunkenstrecken sind zu groß. Im Elektronikladen gab es keine Stiftleisten mit wesentlich kleinerem Rastermass. Falls es die geben sollte, wären die bestimmt auch sündhaft teuer. Wenn das Rastermass nicht verkleinert werden kann, dann könnte doch die Stiftdicke vergrößert werden! Wie?
Ich steckte eine einreihige Stiftleiste in eine Europaplatine, mit einseitgen Lötösen, um hindurchgesteckte Stifte und Drähte zu verlöten. Gesagt getan, aber ohne Löten. Nicht nur bin ich häufig faul, ich wollte auch schnell ein Ergebnis haben. Und bei 18 kV braucht man ja wirklich nichts mehr zu löten. Einer der Vorteile in der Hochspannungs-Experimentiertechnik.
Das funktionierte toll, wie das jetzt funkt! Klar, der Abstand ist ja jetzt erheblich kleiner geworden. Und die Ränder sind zudem scharfkantig. Und viel Dielektrikum ist darunter, grossflächig. Also enstehen in dieser Anordnung auch kräftige Oberflächenentladungen, also Entladungen, die vom Dielektrikum geführt werden. Hier kommt jetzt ziemlich viel helfend zusammen. Und 48 mm werden so überbrückt.
Dann schaue ich auf die Cu-freie Seite, wo die Stifte der Stiftleiste heraus ragen: kein einziger Funke, keinerlei Überschläge. Die Teilüberschläge finden alle zwischen den Lötaugen auf der Cu-Seite statt. Wofür brauche ich dann noch die Stiftleiste ? Weiss ich auch nicht, sie ist total überflüssig. Also heraus damit. Das ist so ähnlich wie beim "Äther", den die Physik schließlich auch entsorgen musste.
Die zweite Lüftungspause muss bewältigt werden, draußen ist es ja ziemlich kalte.
Jetzt schließe ich die kontaktierende Krokoklemme mal in der Mitte Seiten und mal an den Ecken an. Und mit der Spitzenelektrode steche ich auf die armen Lötaugen ein, mal richtig fest, mal lasse ich einen kurzen Blitz auf sie herab springen.
[wie in dem bitterbösen Comic-Film vom Bau der chinesischen Mondrakete mit den vielen Arbeitern, über deren WC-Reihe immer ein Stossspannungsgenerator mit zufälligen Bewegungsmuster entlang fährt, mal hier, mal dort anhält und einen Blitz nach unten jagt. Nieman soll sich dort zu lange aufhalten. So etwas geht also auch ohne Dienstanweisung zur Verkürzung personengebundener Verweilzeiten. Kaum ist der Funken beendet, geht die Tür automatisch auf und fluchs ist ein anderer Chinese herbei, mit Kehrbesen und Kehrblech, wie gesagt, bitterbös, aber voll hochspannungsmäßig.]
Zurück nach Europa! Was sich auf der gleichnamigen Platine abspielt ist nicht weniger faszinierend. Die aus den Teilfunkenstrecken sich zusammen setzenden Wege sind überwiegend rechtwinklig, nur gelegentlich sehe ich 45°-Funken. Das erinnert mich an Vorlagen fürs Teppichknüpfen. Eine imho etwas langweiligere Beschäftigung als Hochspannunsversuche. Aber hier, im Gegensatz zum Teppich, ist alles hochdynamisch, laufend ändern sich die Funkenwege. Bei jedem Überschlag ein neues Bild. Es geht auch mal zurück und in der nächsen Gasse wieder in die richtige Richtung.
Und weil sich alles nicht wie bei den Stiftleisten linear (also 1D) bewegt, sondern in der Fläche, nenne ich diese Lötösenplatinen nun 2D-Funkenstrecke.
Einfache Blitztafel
Vor Monaten lernte ich die Blitztafel kennen, im Angebot bei Lehrmittelherstellern bzw. in Arbeiten auf der Uni. Diese Teile entstehen durch Aufkleben von Alufolie auf einem flächigen Dielektrikum. Das Ganze hängt man dann isoliert auf und jagt dort die Spannung eines Bandgenerators hinein. Zuschneiden, Positionieren und Aufkleben von Alufolie ist aber verzichtbar. Wir können eine Lötösenplatine nehmen und die Verkehrslenkung wie in manchen Städen vornehmen: Es werden keine neuen Straßen gebaut, sondern vorhandene werden zu Fußgängerzonen (oder zu Einbahnstraßen). Auf unserer Europaplatine reiben wir die Löcher mit den Lötösen auf, bohren sie weg, fräsen sie weg, senken sie weg. Der Maschinenbau hat da viele nette kleine Werkzeug, der sicher jeder von uns auch im nicht-elektrischen Teil seiner Werktstatt finden kann.
Da liessen sich wahrhaft tolle Konstruktionen bauen, je mehr kV, umso länger werden die Bahnen. Vielleicht liessen sich auch Versuche mit Spiralen und Labyrinthen erstellen. Die Funkenstrecke als Labyrinth-Problemlöser, musste man einfach mal probieren.
l "Blitztafe-Analogone" aus Lötösenplatine bei höherer Spannung u. a. mit Spiralen bauen.
l Korona- und Glimmentladungen auf normalen Lötösenplatine im Dunkeln beobachten
Es ginge sogar noch verrückter ...
Geteilte Funkenstrecke in 3-D
Mehrere einfache oder ausgefräste Lötösenplatinen zu einem räumliche Verbund zusammenstellen. Wie das wohl in einer regelmässigen Anordnung ausssähe? Weitere Idee ...
l einen "chinesischen Blitzdrachen" bauen
l eine "Jakobsleiter aus Löchern" bauen
Vielleicht hat jemand eine Idee für ganz natürliche (technische) Teile, die sich einfach irgendwo für fast umme kaufen liessen?
Am besten, weil von besonders geringem Gewicht, nämlich nur 0 Gramm schwer, wäre eine fraktale Konstruktion. Vielleicht mit einem 3D-Drucker gedruckt, was eigentlich ein Widerspruch wäre, weil diese Wunschgebilde ja eine geringere Dimension als 3,0 aufwiese. Aber vielleicht kann der 3D-Drucker das auch.
l Ersatzweise ließen sich auch Konstruktionen aus Papier, Pappe und Karton mit Graphit-Spray einsprühen. Damit hätten wir den Bereich der zerstörungsfreien Versuchgestaltung verlassen (vielen von uns dürfte das aber bereits schon früher einmal gelungen sein .
Und zum Schluss
Wieder hat die Hochspannungstechnik (hier nicht die Elektrostatik sondern die Physik und Technik der Gasentladungen) uns mit vielen neuen Möglichkeiten beglückt. Gleich werde ich bestimmt noch davon träumen.
Gruß und Gute Nacht,
Hans-Günter